#hinterdermaske: Inklusion im KunstdruckCentralTheater

Einfach machen! – Inklusion im Kunstdruck CentralTheater

Ein Einblick von julia rohn

Inklusion ist ein Wort, das aktuell in aller Munde ist. Die Gesellschaft scheint endlich verstanden zu haben: Menschen auszugrenzen ist einfach – ich formuliere es jetzt ganz direkt – scheiße. Und ja, es ist ein aktives Ausgrenzen. Es ist nicht nur ein „dabei zusehen“ oder ein „Ich weiß nicht, wie“. In unserer heutigen Gesellschaft gibt es unzählige Möglichkeiten sich mit Menschen, die mit einer Behinderung leben, zu vernetzen. Es gibt durch soziale Medien die Möglichkeit persönliche Einblicke in das Leben von Menschen mit Behinderung zu erhalten und so den eigenen Horizont zu erweitern. Es gibt sogar Berater:innen, die man sich in die eigene Firma holen kann, egal wie klein sie ist. Es gibt staatliche Gelder (auch wenn die bereitgestellten Gelder viel zu gering sind). und es gibt private Fördermöglichkeiten – beispielsweise bei der Aktion Mensch.

Wenn ich also höre: „Wir wären ja so gerne inklusiv, aber wir wissen einfach nicht wie“, dann macht mich das vor allem wütend. Als Philipp und ich das Kunstdruck CentralTheater gegründet haben, war uns von Anfang an klar: Bei uns sollen alle die Möglichkeit erhalten an Kultur teilhaben zu können. Natürlich hatten wir einen – wenn auch kleinen – Vorteil. Mit meiner eigenen Schwerbehinderung besteht unsere Leitung zu 50% aus Menschen mit Behinderung. Ich schreibe bewusst, es ist nur ein kleiner Vorteil, denn mit meinen Erkrankungen habe ich vor allem Menschen, die eine psychische Beeinträchtigung haben, im Blick. Und auch hier stehen meine Erfahrungen und Bedürfnisse ja nicht für die gesamte Gruppe. Aber immerhin kann ich aus meinem eigenen Leben Ideen und Gedanken in unser Konzept einbringen und das sehe ich durchaus als Vorteil an.

„Aber du bist doch Sonderpädagogin, da muss man sich doch mit Behinderungen auskennen!“ Nein! Als Sonderpädagogin belegt man in Baden-Württemberg Fachrichtungen – bei mir war das zum einen „Emotionale und soziale Entwicklung“ und zum anderen „Lernen“. Ich habe also in meinem Studium rein gar nichts über Tetraspastiken, das Down-Syndrom, Hör- oder Sehbehinderungen gelernt. Und auch in den Bereichen der psychischen Erkrankungen und Lernbehinderungen lerne ich vor allem aus einem – aus dem Kontakt zu möglichst vielen betroffenen Menschen. Selbst wenn zwei Menschen exakt dieselbe Diagnose haben – sie können trotzdem auf unterschiedliche Barrieren in ihrem Leben stoßen und unterschiedliche Teilhabestrategien benötigen.

Für Teilhabe braucht es vor allem eines: Transparenz

Bei der Erstellung unseres Teilhabekonzeptes war also recht schnell klar: Das wird niemals in Stein gemeißelt sein, es wird mit uns wachsen. Wir wollen offen sein für Kritik und Anregungen von betroffenen Menschen. Und wir wollen uns vor allem auch um die Barrieren kümmern, die nicht baulicher Natur sind. Als wir darüber nachdachten, wie man auch Barrieren für Menschen mit psychischer Erkrankung oder Lernbehinderung abbauen kann, überlegte ich, was mir selbst helfen würde. Ich weiß noch, dass ich es immer sehr schade fand, dass ich bei vielen (gerade kulturellen) Veranstaltungen nicht vorab wusste, ob ein für mich belastendes Thema behandelt wird. Denn wenn ich weiß, dass eine Veranstaltung ein Thema behandelt, welches für mich schwierig ist, dann kann ich selbstbestimmt entscheiden: Möchte ich dort hin und es probieren? Oder möchte ich mich dieser Herausforderung aktuell nicht stellen?

In der Diskussion kamen wir dann darauf, dass das ja nicht nur Menschen mit psychischer Erkrankung so geht. Auch Menschen mit Sehbehinderung oder mit kognitiven Einschränkungen sollten die nötigen Informationen erkennen können – und zwar ohne vorab Kontakt mit uns aufnehmen zu müssen. Das Thema Selbstbestimmung beschäftigt uns immer wieder. Nach einiger Zeit – ich glaube es war sogar nach über einem Jahr! – ist uns erst aufgefallen, dass blinde Menschen von unserem entwickelten Symbolsystem herzlich wenig haben – ein visuelles Hinweissystem ist hier nun wirklich das falsche Mittel. Also war klar: Hier muss nachgebessert werden, ein Blindenleporello in Braille-Schrift muss her. Wenn ich also von „mitwachsendem Teilhabekonzept“ spreche, dann meine ich das auch so! Wir sind auf unserem Weg schon in Fettnäpfchen getreten, wir haben Strategien umgesetzt, die nach Rückmeldung von Betroffenen gar nicht hilfreich waren, wir haben noch unendlich viele Barrierebaustellen offen. Immer wieder überdenken wir unser Konzept und probieren neue Dinge aus. Das ist etwas, was zu unserer Vereins-DNA gehört: Einfach machen!

Anstatt monate- und jahrelang über ein perfekt ausgefeiltes Teilhabekonzept zu diskutieren und verschiedenste Umsetzungsstrategien zu entwickeln, einfach anfangen! Es wird niemals die perfekte Strategie geben. Man wird immer jemanden vergessen. Mit manchen Maßnahmen, die einer Personengruppe helfen, schließt man eine andere vielleicht aus. Wir lernen aus Fehlern. Und wir möchten Mut machen, das in der eigenen Institution, in der eigenen Firma, im eigenen privaten Umfeld einfach auch zu tun.

Inklusion heißt nicht es allen recht zu machen!

Eine Veranstaltung, in der man es allen Personengruppen recht macht, hat es nie gegeben und wird es auch nie geben. Das braucht es aber doch auch nicht! Das ist doch auch bei Menschen ohne Behinderung nicht anders. Die eine geht gerne in dadaistische Stücke, der andere möchte lieber eine lustige Slapstick-Komödie anschauen. Einige Veranstaltungen sind, da sie hauptsächlich auf Sprache basieren, für Menschen mit Sehbehinderung super geeignet. Ein pantomimisches Stück nicht. Für uns war von Anfang an klar, dass wir unser Programm nicht umstellen wollen. Wir wollen echte Vielfalt bieten. Wir wollen auch experimentelle und teilweise schockierende Stücke zeigen, auch wenn die gezeigten Bilder Menschen triggern können. Unser Symbolsystem ist deshalb das Herzstück unseres Teilhabekonzeptes, weil es verschiedensten Personengruppen ermöglicht zu sehen, ob ein Stück für sie geeignet ist. Auch hier machen wir sicher nicht alles richtig und schätzen Stücke falsch ein. Auch hier sind wir auf Rückmeldungen von den betroffenen Menschen angewiesen.

Menschen mit Behinderung brauchen kein „besonderes“ Programm. Oft reicht schon eine Kleinigkeit, damit Veranstaltungen für mehr Personengruppen zugänglich sind – beispielsweise durch eine:n Gebärdensprachdolmetscher:in oder eine auditive Verstärkung. Aber auch mit diesen Maßnahmen sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, es jemals allen Recht machen zu können. Damit Inklusion wirklich stattfinden kann, müssen wir beginnen, Ideen auch umzusetzen. Möchten wir Perfektion erreichen, dann hemmt uns das und verhindert am Ende, dass überhaupt auch nur der erste Schritt getan wird.

Um das zu verdeutlichen, möchte ich ein Beispiel aus unserem Alltag nennen, denn diese Situation ist wirklich alles andere als perfekt. Von Beginn an war uns wichtig, unser denkmalgeschütztes Gebäude auch für Menschen im Rollstuhl zugänglich zu machen. Denkmalschutz und Barrierearmut sind zwei Begriffe, die einfach nicht zusammengehen. Die Treppe im Eingangsbereich ist viel zu steil für eine Rampe. Also entschieden wir uns, eine transportable Rollstuhlrampe (über eine Förderaktion der Aktion Mensch) anzuschaffen. Mit deren Hilfe können Menschen im Rollstuhl über unseren Bühneneingang in den Aufführungsraum gelangen. Im Innenhof, in dem sich dieser Zugang befindet, stehen die Mülltonnen des ganzen Hauses und der Nachbarkneipe. Hat irgendwie einen fahlen Beigeschmack, sich inklusiv zu nennen und dann Menschen mit Rollstuhl erstmal zwischen dem Müll zu begrüßen. Selbstbestimmt ist auch was anderes, denn man muss erst einmal um das Gebäude rumgeführt werden, um den Eingang überhaupt zu finden. Und zu allem Übel kommt man dann auch noch mitten auf der Bühne raus – und kann sich maximal in die erste Reihe umsetzen, denn der Durchgang zwischen den Reihen ist für einen Rollstuhl leider nicht breit genug. Ist ein Umsetzen nicht möglich, sitzen unsere Zuschauer:innen mit Rollstuhl also halb im Bühnenlicht – alles andere als optimal! Maximal drei Rollstühle können in der ersten Reihe platziert werden – für ein inklusives Theater ziemlich bitter.

Aber was wäre die Alternative? Es gar nicht ermöglichen, weil der Innenhof nicht schön genug ist? Von vorne herein sagen, dass durch den Denkmalschutz eine Erschließung des Raumes für Menschen mit Rollstuhl nicht möglich ist? Ja, das würde nach außen vielleicht schöner aussehen. Wir müssten uns nicht bei Zuschauer:innen entschuldigen, wenn wir sie am stinkenden Müll vorbeiführen. Wir müssten uns nicht die Frage stellen, ob wir uns überhaupt inklusiv nennen dürfen, wenn Menschen mit Rollstuhl bei uns nicht selbstbestimmt ins Gebäude kommen, sich nicht eigenständig etwas an der Bar kaufen können und es keine barrierefreien Toiletten bei uns gibt. Wir müssten uns viele Sorgen und Gedanken nicht machen. Aber wir hätten auch keinen einzigen unserer Gäste im Rollstuhl bei uns begrüßen können und das wäre wahrlich keine Alternative – und ganz sicher nicht inklusiv.

#hinterdermaske möchte vor allem eines: Einblicke bieten

Mit dieser Online-Kolumne wollen wir ebenfalls etwas für die Inklusion in unserer Stadt tun. Hier kommen  Menschen zu Wort, die bei uns im Kunstdruck CentralTheater aktiv sind und selbst in ihrem Alltag Barrieren erleben. Wir möchten Dinge erklären, die für Menschen, die ohne Behinderung leben, nur schwer zu verstehen sind. Wir als Intendanz geben die Themen dabei nicht vor. Wir geben die Länge der Texte nicht vor. Wir zensieren den Inhalt nicht. Wir zwingen niemanden, sich mit seinem Namen zu seinem Text zu bekennen. Unser Anliegen ist es eine Plattform zu bieten, in der Menschen mit Behinderung auf etwas hinweisen können. Auf Dinge, die sie aufregen, die sie sich anders wünschen, in denen sie sich nicht gesehen fühlen.

In unserem Team arbeiten vor allem Menschen mit psychischer oder kognitiver Behinderung. Gerade in diesem Bereich ist es gar nicht so einfach Barrieren zu erkennen. Über diese Kolumne erhoffen wir uns Einblicke zu ermöglichen, die zu mehr Inklusion führen. Das muss nicht gleich ein Teilhabekonzept sein! Manchmal hilft auch schon eine kleine Information, um bei der nächsten Situation nicht zu denken: „Häh, komisch“, sondern „Aha, inklusiv!“.