#hinterdermaske: Aber du siehst ja gar nicht autistisch aus! – Autistische Stereotypen in modernen Medien

Titelbild. #hinterdermaske. Darunter ein Polaroid auf dem Leaf Glock zu sehen ist, die sich eine schwarze Augenmaske vom Gesicht zieht. Bildunterschrift: "Du siehst ja garnicht autistisch aus!" Darunter: Leaf Glock.Aber du siehst ja gar nicht autistisch aus! – Autistische Stereotypen in modernen Medien

Ein einblick von leaf glock

Diesen Satz hat glaube ich fast jede autistische Person schon mal zu hören bekommen. Ok, scratch that; wenn wir das Adjektiv „autistisch“ mit verschiedenen anderen Worten austauschen, dann hat diesen Satz jeder Mensch mit einer (zunächst) nicht sichtbaren Behinderung schon mal zu hören bekommen. Denn aus irgendeinem Grund meinen nicht-behinderte Menschen, ganz genau zu wissen wie wir auszusehen haben. Menschen mit ADHS müssen konstant wild in der Gegend rumhüpfen, depressive Menschen dürfen nichts anderes als schwarz tragen und Menschen mit Autismus müssen schweigend in der Ecke hocken und mit ihren Modellzügen spielen etc. Wenn mir jemand sagt, ich sehe nicht autistisch aus, frage ich normalerweise nach, wie jemand, der autistisch ist, denn aussieht. Die Frage wird nur selten beantwortet, aber das Gesicht alleine ist es schon wert, nachzufragen.

4 Comicbilder in einer Reihe, zwei Frauen stehen sich gegenüber. Bild 1. Person A: "You're autistic? You don't look like it. Person B: "Maybe that's our plan." Bild 2. Person B: "Maybe we've made ourselves look neurotypical so that we can intermingle within your society." Bild 3. Person B: "We marry you! Have children with you! Spread our autism further than ever before! Soon we will infect the entire world!!!" Bild 4. Person A schaut entsetzt. Person B: "That or the whole "autism has a look" thin ist complete crap." Comic by Theresa Scovil.
Wie sieht denn jemand aus, der autistisch ist?

Aber wie sieht denn jemand aus, der autistisch ist? Wie stellen sich Menschen, die in ihrem Leben noch nie (wissend) Kontakt mit einer autistischen Person hatten, vor, wie wir aussehen? Also wenn man alle Stereotypen über Autismus zusammenzählt, kommt man zur Schlussfolgerung: Der stereotypische Autist ist ein weißer cis-Junge der sich sehr für Züge, Dinos oder Astronauten interessiert, Probleme mit sozialen Interaktionen hat, dem das Wohlbefinden seiner Mitmenschen egal ist und der das auch aktiv zeigt und am besten als Kleinkind bereits diagnostiziert wurde.

(Ich habe seine Hautfarbe und Geschlecht mit Absicht genannt, nicht nur weil die meisten autistischen Charaktere in den modernen (vor allem aber auch älteren) Medien weiß, cis und männlich sind, sondern weil es aufgrund dieser Stereotypen für nicht-weiße Menschen und Menschen, die bei Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden, viel schwerer ist, diagnostiziert zu werden. Dazu kommt dann noch, dass typisches Verhalten autistischer Kinder, wie eben die Probleme mit Sozialkontakt, das Vermeiden von Augenkontakt und das Klammern an besondere Spielzeuge oder Kuscheltiere, oft als „schüchtern sein“ interpretiert wird; eine Eigenschaft, die von Mädchen geradezu erwartet wird, bei Jungen aber unerwünscht ist.)

Während es ungefähr gleich viele autistische (biologische) Jungen und Mädchen gibt, sind nur ungefähr ein Fünftel der diagnostizierten Autisten biologisch weiblich. Es geht sogar so weit, dass man als biologisch weibliche Person teilweise suchen muss, um eine*n Psychiater*in zu finden, der/die die Existenz von weiblichem Autismus anerkennt und sich den Unterschieden von weiblichem und männlichen Autismus bewusst ist.

(Dazu muss ich aber auch sagen dass es im Nachhinein schon fast praktisch war, dass mich meine Eltern als „einfach nur etwas seltsam“ abgestempelt haben, da ich mit einer offiziellen deutschen Diagnose noch mehr Probleme hätte, als trans* diagnostiziert zu werden. Autistischen Menschen wird nämlich oft nicht geglaubt, dass sie trans* sind, denn wir seien anscheinend einfach nur nicht dazu in der Lage zu verstehen was Geschlechter sind. Wow.)

Bildung, die als Freizeit getarnt ist

Also zurück zum Thema. Wie kann man Menschen dazu bringen, zu verstehen, dass nicht alle autistischen Menschen zufälligerweise genau aussehen wie Young Sheldon? Die beste Möglichkeit, Menschen unterbewusst zu beeinflussen, ist oft Bildung, die als Freizeit getarnt ist. Doctor Who ist eine britische Serie, die seit fast 60 Jahren läuft und deren Ziel es war, Kindern Geschichte beizubringen und ihr Interesse an technischen Fächern zu fördern. Nicht nur war sie dabei erfolgreich, sie ist dazu auch noch super unterhaltsam (ansonsten hätte sie ja auch nicht so lange überlebt). Von welchen Medien werden also diese Stereotypen unterbewusst gefördert und wie können wir sie auslöschen?

Ich habe vor ein paar Wochen online darum gebeten, dass mir andere autistische Menschen ein paar Beispiele von sowohl guter als auch schlechter Autismus-Repräsentation in der modernen Pop-Kultur zukommen lassen.

Das wohl häufigste Negativbeispiel (aber auch Positivbeispiel bei manchen) war Sheldon Cooper aus Big Bang Theory. Sheldon ist ein Physiker, der als junges Genie mit einem IQ von 187 und eidetischem Gedächtnis das College mit 14 abgeschlossen hat. Außer seiner Arbeit interessiert er sich für Sci-Fi und Fantasy und ist ein ziemlich stereotypischer Nerd, von dem man erwartet, dass er alle Wikipedia Artikel zu seinen „Special Interests“ nicht nur auswendig kann, sondern auch selbst geschrieben bzw verbessert hat. Er hat extreme Schwierigkeiten Sozialkontakte mit Nicht-Nerds aufrecht zu erhalten, ist von Routinen abhängig und oft sehr unhöflich. Damit ist er ein sehr stereotypischer Autist; Ich wurde schon mehrmals von Menschen, die erfahren haben, dass ich autistisch bin, gefragt, ob ich gut in Mathe oder Physik sei (leider nicht), mich für Sci-Fi interessiere (ja, aber das hat nichts mit meinem Autismus und alles mit meinem Vater zu tun) oder ob ich insgesamt Fan von Big Bang Theory sei. (Nein, aber ich habe die ersten 7 Staffeln gesehen. Die siebte war so schrecklich, dass ich nicht mehr weiterschauen konnte.)

Die meisten Stereotypen haben Wurzeln in der Realität. Es gibt bestimmt viele autistische Menschen, auf die eine oder mehrere dieser Eigenschaften zutreffen. Leider war Sheldon aber lange die einzige bekannte autistische Figur in moderner Pop-Kultur und hat damit ein Bild von uns geschaffen gegen das wir geradezu ankämpfen müssen. Wir sind nicht alle unhöflich, und wenn, dann meinen wir es meistens nicht so. Special Interests von autistischen Menschen müssen nicht unbedingt Wissenschaftsgebiete oder bestimmte Serien sein, und nicht jeder Autist kann Mathe!

Abed Nadir aus Community

Ein ebenfalls leicht stereotypisches Beispiel wäre Abed Nadir aus Community. Der Charakter Abed basierte anfangs auf einem autistischen Freund des Drehbuchautors Dan Harmon, aber im Laufe der Serie merkte Dan wie gut er sich mit Abed identifizieren konnte und ließ sich mit Asperger’s diagnostizieren. Danach zeigte er mehr und mehr von sich selbst in Abed und basierte ein paar Jahre später auch Rick Sanchez aus Rick and Morty auf sich selbst, aber zu ihm später mehr. (Woher ich das weiß? Sagen wir mal so; Community war vor ein paar Jahren mein Special Interest.) Abed ist ebenfalls ein Nerd, aber aus anderen Gründen; während Sheldon sagt, er fühle sich wie Spock unter der „vergleichsweise dummen“ Besatzung der Enterprise, versucht Abed mithilfe von verschiedenen Filmen und Serien menschliches Verhalten besser zu verstehen. Er hat auch Probleme damit, soziale Kontakte zu knüpfen, will aber niemanden verletzen und versucht deswegen zu lernen, mit Menschen umzugehen und geeignet auf Situationen zu reagieren (auch wenn er die meiste Zeit einfach nur Pop-Kultur Referenzen macht). Seine Liebe fürs Fernsehen hat ihn schließlich dazu inspiriert, Regie zu studieren, aber sein arabischer Vater will, dass er den Falafel-Stand rettet, der seit 9/11 echt zu kämpfen hat, und BWL studiert. Am Community College lernt Abed dann seine neuen Freunde kennen, die ihn so akzeptieren wie er ist und ihm das Selbstbewusstsein geben, sich gegen seinen Vater zu stellen.

Ich persönlich kann mich sehr gut mit Abed identifizieren. Er ist keine kaltherzige Maschine, auch wenn ihm das manchmal unterstellt wird, weil er oft Probleme hat, seine Emotionen zu zeigen. Ihm sind seine Freunde sehr wichtig, und während er auch nicht gut damit umgehen kann, wenn sich seine gewohnten Routinen ändern (müssen), schafft er es mithilfe seiner Freunde sich einigermaßen anzupassen. (Außerdem kommt er viel weniger unsympathisch rüber als Sheldon und wird nicht von casual Fans gehasst, das ist ein großer Bonus für ihn als Repräsentation. Es ist kein schönes Gefühl, wenn die einzige autistische Person, die man im Fernsehen sieht als böse, unhöflich und verrückt dargestellt wird.)

Autistische Personen sollten bei der Erstellung von Serien mit autistischen Rollen ein Mitspracherecht haben!

Rick Sanchez ist wieder eher ein Negativbeispiel, aber dadurch, dass er auf Dan Harmon basiert, finde ich ihn nicht so schlimm wie Sheldon. Den meisten autistischen Menschen (wie auch mir) ist es wichtig, dass wenigstens eine autistische Person ein Mitspracherecht hat, wenn es darum geht, wie wir repräsentiert werden. Bei Rick wird erst im Staffelfinale von Staffel 3 erwähnt, dass er autistisch ist, als er Morty fragt, ob Minecraft bei autistischen Menschen beliebt ist da er beginnt, es zu lieben. (dreimal dürft ihr raten warum ich das so genau weiß.) Rick ist ein verrückter Wissenschaftler, der bewiesenermaßen der schlauste Mensch im Universum ist und der erste meiner Beispiele, der nicht wenigstens im Subtext als asexuell geschrieben wurde. (Während ich großer Fan von gescheiter Repräsentation von asexuellen Menschen bin, bin ich es satt, dass alle autistischen Charaktere auch gleichzeitig asexuell sind. Diese beiden Eigenschaften haben nichts miteinander zu tun!) Gleichzeitig hat er allerdings ein großes Problem mit Alkoholismus (und eigentlich auch mit sämtlichen anderen Drogen, die er kriegen kann). Dieser Alkoholismus ist aber kein Stereotyp und kein Angriff auf die autistische Community, sondern eine Reflektion von Dan Harmon selbst, der mittlerweile öffentlich über sein Alkoholproblem redet und durch seine offene und ehrliche Art schon vielen Fans geholfen hat.

(Es ist aber tatsächlich so, dass autistische Menschen eher dazu geneigt sind, von verschiedensten Sachen abhängig zu werden. Das liegt daran, dass unsere Gehirne anders funktionieren und gewöhnlich weniger Serotonin und Dopamin ausschütten als ein gesundes neurotypisches Gehirn, sodass viele autistische Menschen sich durch verschiedene andere Mittel Abhilfe schaffen.)

Rick ist außerdem sehr unhöflich und nutzt seine Familie, insbesondere seinen Enkel Morty aus. Obwohl er so tut als wäre ihm alles egal, da er weiß, dass im Prinzip nichts im Universum von Bedeutung ist, sind sie ihm trotzdem ans Herz gewachsen und im Laufe der Serie wird es immer klarer, dass er es nicht schafft, seine Gefühle zu unterdrücken. Rick ist zwar ein (größtenteils) schlechter Mensch aber trotzdem keine (komplett) schlechte Repräsentation. Meiner Meinung nach zumindest.

Für die Frauenqouote – Reagan Ridley

Ich habe jetzt sehr viel über männliche Autisten geschrieben (auch wenn Abed und Rick wenigstens nicht weiß waren), also finde ich sollte ich etwas für die Frauenquote tun: Reagan Ridley aus Inside Job. Reagan ist ebenfalls Wissenschaftlerin und arbeitet für den Deep State, der verschiedene Verschwörungstheorien verdeckt. Sie ist ein Workaholic und hat (oh Wunder) Probleme damit, nett zu ihren Kolleg*innen zu sein (und mit Körperkontakt an sich, aber das ist ein anderes Thema). Sie tut trotzdem ihr Bestes dabei und ist fokussiert genug, dass sie es schafft, mehrmals pro Jahr die Welt zu retten. Dadurch dass es erst eine Staffel (bestehend aus 10 Folgen) von Inside Job gibt, kann ich leider zu ihr nicht so viel sagen wie zu den anderen, aber sie war ein Beispiel, das mir fast genausooft genannt wurde wie Rick, deswegen wollte ich sie euch nicht vorenthalten. Insgesamt sehe ich sehr viel von mir in Reagan widergespiegelt und es ist sehr schön, mal etwas weibliche Autismusrepräsentation zu sehen, da das Stereotyp, Autismus sei eine „Jungskrankheit“ vielen biologisch weiblichen Autisten genug Schaden zugefügt hat. Es ist nicht besonders produktiv, regelmäßig zu hören zu bekommen, man sei nur kleinlich, pingelig, hysterisch, schüchtern, solle sich mal nicht so anstellen oder dass jeder „ein bisschen autistisch“ sei.

Wenn das der Fall wäre, dann bräuchten autistische Menschen keine Hilfen, um mit dem alltäglichen Leben klar zu kommen und es wäre viel leichter, an wichtige Sachen wie Stim-Toys (= „Spielzeuge“ wie Fidget Cubes mit denen Neurodiverse Menschen ihre Hände beschäftigen oder sich ablenken können), extra-starke Sonnenbrillen, Noice-cancelling Kopfhörer oder Filme und Serien mit Untertiteln dranzukommen, wichtige Dokumente wären einfacher formuliert, niemand würde jemanden, der gerade nicht sprechen kann/will dumm anmachen und stimming in der Öffentlichkeit wäre nicht verpönt. Ich erinnere nur an die Zeit in der Fidget Spinners getrended haben und von allen entweder geliebt oder gehasst wurden. Niemanden hat es interessiert, dass es eigentlich ein stim-toy für Menschen mit ADHS, ADS oder Autismus ist.

Autismus ist ein Spektrum

Meine vier Beispiele sind nur ein paar von vielen, aber ich habe um ehrlich zu sein nicht genug Zeit jeden autistischen Charakter zu analysieren und zu kritisieren. (Mal ganz davon abgesehen, dass das Ergebnis dann irgendwann auch niemand mehr lesen will.) Davon abgesehen ist es egal, wie viele gute Repräsentation es bisher gibt; es ist offensichtlich noch lange nicht genug, ansonsten müsste ich mir nicht mehr anhören, ich würde nicht autistisch aussehen. Außerdem ist es eh relativ unmöglich, jeden Einzelnen von uns korrekt zu repräsentieren. Autismus ist ein Spektrum und entgegen dem Kategorisierungssystem für autistische Menschen kann man nicht sagen, jemand ist besonders autistisch („low functioning“) oder leicht autistisch („high functioning“), so funktioniert das einfach nicht.

In den folgenden Bildern sieht man eine akkuratere Beschreibung des Spektrums:

 

Die Höhen und Tiefen der Viertel ist dabei für jede Person unterschiedlich und variiert oft auch von Tag zu Tag. Ich spreche zum Beispiel an guten Tagen zwei Sprachen flüssig (Deutsch und Englisch), eine genug um Konversationen zu führen (Spanisch) und habe in drei weiteren einen Wortschatz, den ich in bestimmten Situationen anwenden kann, auch wenn er noch nie in einer längeren Konversation getestet wurde (Gaelisch, Schwedisch, Ungarisch). Ich interessiere mich sehr für das Konzept Sprache an sich und liebe es, neue zu erlernen. Wenn ich aber zu viel mit Sprache konfrontiert wurde und überwältigt bin, kann es vorkommen, dass mein Gehirn komplett abschaltet. Je nach Situation habe ich Probleme, meine Gedanken in Worte zu fassen, kann nicht mehr als einsilbige Wörter sagen oder höre komplett auf, Sprache zu verstehen, egal ob gesprochen oder geschrieben.

Diese Komplexität des Autismus erschwert es natürlich, ihn „korrekt“ zu zeigen. Man kann außerdem nicht jedes Mal, wenn jemand versucht, einen wegen seines Autismus in eine Schublade zu stecken einen Graphen aus der Tasche ziehen und erklären, was genau Autismus ist. Was man aber tun kann, ist darüber zu sprechen, warum Stereotypen schädlich sind und wo man sich schnell (und vielleicht sogar während man Spaß hat) aufklären lassen kann. Das gilt natürlich nicht nur für Autismus, sondern sollte allgemein das Ziel sein.

Für mich heißt das, dass ich so vielen Menschen wie möglich empfehle, Community zu schauen und sage, was genau ich an Big Bang Theory so schlimm finde. Für euch kann es heißen, Community zu schauen (es ist echt gut!!!) oder aber auch, diesen Artikel weiterzuempfehlen. Oder wenn ihr selbst autistisch seid, könnt ihr ihn auch gerne konstant auf einem Tab geöffnet haben und wenn die nächste Person behauptet, ihr würdet nicht autistisch aussehen, könnt ihr direkt mit diesem Artikel kontern.

Wer weiß.